Historie in Düsseldorf: Die Geschichte der Benderstraße

Rhei­ni­sche Post vom 24. April 2019 von Marc Ingel

RP Ger­res­heim: Zehn Ger­res­hei­mer zei­gen anhand vie­ler alter Fotos und Anek­do­ten auf einer Online-Platt­form die Ent­wick­lung der Stra­ße ab 1875. Damals wur­den in Ger­res­heim noch Kin­der ver­kauft oder Kat­zen und Hun­de gegessen.

Ver­öf­fent­li­chung des RP Arti­kels mit freund­li­cher Geneh­mi­gung von Marc Ingel Rhei­ni­sche Post

Es war ein­mal eine Hand­voll Geschichts-Inter­es­sier­ter, die woll­ten sich aus­tau­schen, gemein­sam etwas auf die Bei­ne stel­len. Es mag nicht über­ra­schen, dass dies aus­ge­rech­net in Ger­res­heim geschah, in wahr­schein­lich kei­nem ande­ren Stadt­teil in Düs­sel­dorf ist der his­to­ri­sche For­scher­drang der­art aus­ge­prägt. Und natür­lich war schnell klar, dass man etwas über Ger­res­heim machen woll­te. Da gera­de der auf­wen­di­ge Umbau der Ben­der­stra­ße abge­schlos­sen war (vor drei Jah­ren), dach­ten sich die (Hobby-)Wissenschaftler: Das wär‘s doch, wir erzäh­len die Geschich­te der Benderstraße.

Der ehe­ma­li­ge Dro­gist Gün­ter Behr hat tau­sen­de alte Ger­res­heim-Fotos, rund 50 davon sind von der Ben­der­stra­ße. Foto: Peter Stegt/Marc Ingel

Aber wie? Eine Aus­stel­lung? Eine Publi­ka­ti­on? „Das wäre jedoch so end­gül­tig und abge­schlos­sen gewe­sen. Wir haben das eher als Pro­jekt ange­se­hen, an dem fort­lau­fend gear­bei­tet wer­den kann, weil ja hof­fent­lich auch immer neu­es Mate­ri­al auf­taucht“, sagt Peter Stegt. Die Lösung: Eine Inter­net­sei­te. Und da mit Man­fred Klöp­pel einer der glor­rei­chen Zehn zufäl­lig auch noch Web­de­si­gner war, war das Podi­um schnell geschaffen.

Jetzt ist sie online. Auf unzäh­li­gen Fotos, noch weni­gen Men­schen-Geschich­ten, dafür schon etwas mehr Anek­do­ten von Ger­res­hei­mer Ori­gi­na­len wird die Geschich­te einer Stra­ße von 1875 bis heu­te erzählt. Im Pfarr­ar­chiv wur­de man fün­dig, es kamen aber auch immer wie­der Pri­vat­leu­te zu den regel­mä­ßi­gen Tref­fen, die auf ihrem Spei­cher in alten Kis­ten his­to­ri­sche Schät­ze bar­gen und die­se der Grup­pe zur Ver­fü­gung stell­ten. Und es gibt Gün­ter Behr: „Ich habe mehr als 1000 größ­ten­teils sehr alte Fotos von Ger­res­heim, min­des­tens 50 davon zei­gen die Ben­der­stra­ße“, erzählt der ehe­ma­li­ge Dro­gist, dem oft Kun­den die­se Auf­nah­men über­las­sen haben und der aus die­sem Archiv schon drei Foto-Bän­de her­aus­ge­ge­ben hat.

Die Ben­der­stra­ße wur­de erst 1890 befes­tigt und all­mäh­lich mit Häu­sern bebaut. Foto: Peter Stegt/Marc Ingel

Die ältes­te Auf­nah­me stammt von 1875. Da stand das Neu­ßer Tor noch. Klaus-Die­ter Schmidt hat vom Haus Num­mer 37 eine gan­ze Grund­stücks­ak­te. Heri­bert Wel­sing sam­melt Film­ma­te­ri­al zur Ben­der­stra­ße. So hat jeder in dem Kreis sei­ne Aufgabe.

Info

Men­schen, Häu­ser und Geschichten

Die Sei­te www.geschichte-benderstrasse.de hat fol­gen­de Kapi­tel: Die Ben­der­stra­ße, Die Men­schen, Die Häu­ser, Die Geschich­ten, Über uns.

Die Men­schen Betei­ligt sind Sabi­ne Grup­pe, Gün­ter Behr, Hel­mut Hart­mann, Gabrie­le Stre­l­au, Klaus-Die­ter Schmidt, Man­fred Klöp­pel, Heri­bert Wel­sing, Han­no Par­men­tier, Bri­git­te Ost­wald, Peter Stegt

Hin­ter sämt­li­chen der abruf­ba­ren Fotos schlum­mert eine klei­ne, manch­mal aber auch eine gro­ße Geschich­te. Wo heu­te Rewe ist, war frü­her bei­spiels­wei­se das Ger­ma­nia-Licht­spiel­haus. Eli­sa­beth Huth ver­kauf­te in den 60er Jah­ren dort Kino­kar­ten. Wenn man sie frag­te, was sie denn arbei­te, sag­te sie immer: „Ich bin beim Film!“ Ein Foto aus den 30er Jah­ren zeigt, wie eine offe­ne Limou­si­ne am Film­pa­last vor­bei­fährt, am Stra­ßen­rand ste­hen die Men­schen und recken den rech­ten Arm zum Hit­ler­gruß nach oben.

Die Erbau­er des Hau­ses Num­mer 37, Edith und Mein­hard Suker, wur­den auf der Fas­sa­de ver­ewigt. Foto: Peter Stegt/Marc Ingel

Haus­halts­wa­ren Für­dens eröff­ne­te 1937 sein Geschäft an der Ben­der­stra­ße. Foto: Peter Stegt/Marc Ingel

Es gibt auch Abbil­dun­gen alter Zei­tungs­an­non­cen. Etwa die­se um 1914: „Kind (Kna­be), 4 Mona­te alt, gefun­den und ansehn­lich, von ordent­li­chen armen Eltern, ist gegen ein­ma­li­ge Ver­gü­tung abzu­tre­ten.“ Direkt dar­un­ter: „Kin­der­lo­ses Ehe­paar wünscht ein Kind gegen ange­mes­se­ne Ver­gü­tung als eigen oder in Pfle­ge zu neh­men.“ Ob sie zuein­an­der gefun­den haben? „Das Adop­ti­ons­recht war zur dama­li­gen Zeit offen­bar ein ande­res“, spe­ku­liert Klaus-Die­ter Schmidt.

Natür­lich wird auch Otto Ben­der, Namens­ge­ber der Stra­ße und von 1878 bis 1904 Bür­ger­meis­ter von Ger­res­heim, ein Kapi­tel gewid­met. Er trug mit sei­ner Poli­tik zur rasan­ten Ent­wick­lung der damals noch eigen­stän­di­gen Stadt bei, ord­ne­te die Finan­zen, ließ Bür­ger­stei­ge anle­gen und Stra­ßen bau­en, rich­te­te die Stra­ßen­bahn­li­nie nach Düs­sel­dorf ein. Alle Ger­res­hei­mer Stra­ßen­la­ter­nen tru­gen am Tage sei­ner Beer­di­gung einen tief­schwar­zen Trau­er­flor, erin­nert sich Schnei­der­meis­ter Joseph Stock.

Ein Blick auf die Ecke Benderstraße/Am Poth aus dem Jahr 1938. Hil­trud Moers fand die­ses Foto und über­ließ es den Ger­res­hei­mer Geschichts­for­schern.  Foto: Peter Stegt/Marc Ingel

Das „Sen­sa­ti­ons­fo­to“: Eine unbe­kann­te Nazi-Grö­ße fährt im offe­nen Wagen über die Ben­der­stra­ße, die Men­schen ste­hen mit hoch gereck­tem rech­ten Arm Spa­lier. Foto: Peter Stegt/Marc Ingel

Wohl fast eben­so bekannt in Ger­res­heim dürf­te Vat­ter Held gewe­sen sein, von ihm erzählt Mar­tin Kreutz auf der Inter­net­sei­te: „Er war ein komi­scher Alter mit grau­em, fus­se­li­gem Bart. Still und gebückt, von klei­ner Gestalt ging er daher. Doch sei­ne Augen erspäh­ten man­chen Hund, der da her­ren­los her­um­lief. Wir Kin­der sahen den Alten mit etwas gemisch­ten Gefüh­len an, denn es war bekannt, dass er Hun­de und Kat­zen ver­speist. Woll­te jemand sei­ne Pus­si aus irgend­ei­nem Grun­de los sein oder konn­te ein Hun­de­hal­ter sei­nen Hund der Steu­er wegen nicht mehr hal­ten, dann war der letz­te Weg zum Vat­ter Held. Der Alte nahm den ersehn­ten Bra­ten immer hoch­er­freut in Emp­fang. Man­ches lecke­re Kätz­chen schmor­te er in der Kas­se­rol­le. Ein Hund hielt meh­re­re Tage vor, denn er kam in Essig, mit Zwie­beln und Lor­beer­blatt.“ Ja, so ging es zu im alten Gerresheim.

Natür­lich hof­fen die zehn Geschichts­for­scher dar­auf, dass jetzt, wo die Inter­net­sei­te im Netz jeder­zeit abruf­bar ist, die Reso­nanz noch viel grö­ßer sein wird, dass noch weit mehr Ger­res­hei­mer ihre ver­staub­ten Tru­hen im Kel­ler oder auf dem Spei­cher öff­nen, um gezielt nach Mate­ri­al über die Ben­der­stra­ße zu suchen.